Physiker zerstört Channeling-Mythen #Espresso-News
Zusammenfassung: Die Forschung der Warschauer Physiker liefert wertvolle Einblicke in die komplexen Prozesse der Espressozubereitung. Sie untermauert die Bedeutung einer gleichmäßigen Extraktion und die negativen Auswirkungen von Channeling auf den Geschmack. Indem sie intuitive Praktiken mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpfen, helfen die Ergebnisse Baristi und Kaffeeliebhabern, die Qualität ihres Espressos messbar zu verbessern und weniger auf Vermutungen angewiesen zu sein. Dabei stellen sie auch Mythen infrage, die viele Baristi bei diesem Thema pflegen.
Für viele ist der Espresso für den Start in den neuen Tag einfach nur unverzichtbar, andere machen zusätzlich noch eine Wissenschaft daraus. Damit meinen ich diesmal nicht jene Baristi, die bei der Espresso-Zubereitung durch winzige Anpassung von Parametern zum perfekten Espresso kommen wollen. Nein, es geht um habilitierte Wissenschaftler, die sich ihr Rüstzeug als Physiker zunutze machen, um Espresso zuzubereiten.
Wissenschaftler der Universität Warschau haben vor kurzem einen solchen Versuch gestartet, indem sie die physikalischen Prozesse der Espressozubereitung unter die Lupe nahmen und dabei das Phänomen namens Channeling genauer untersuchten.
Channeling ruiniert den Geschmack des Espressos
In der Brühgruppe der Espressomaschine soll das heiße Wasser möglichst gleichmäßig durch das Kaffeepulver gepresst werden. Auf diese Weise entsteht ein ausgewogener Espresso, der alle Aromen und Geschmacksnoten der zugrundeliegenden Espressoröstung in die Tasse bringt. Das Problem ist nur, Wasser sucht sich immer den einfachsten Weg. Deshalb können sich im gepressten Kaffeepulver kleine Kanäle – Channeling – bilden. Hier fließt das Wasser schneller, so die bisherige Lehrmeinung, und nimmt weniger Bestandteile mit. Dies führt zu einer ungleichmäßigen Extraktion, bei der sich weniger Kaffeebestandteile im Getränk lösen. Die Folge kann ein bitterer, flacher oder übersäuerter Espresso sein.

Mein Tipp: Sollten Sie unsicher sein, ob ein Channeling-Problem vorliegt, nutzen Sie am besten statt einen bzw. zwei Kaffeeausläufen, einen bodenlosen Filterträger. Im Idealfall läuft der frische Espresso dort in einer Trichterform in die Tasse. Kommt er jedoch an vielen Stellen heraus, liegt ein unregelmäßiger Fluss vor.
Ein physikalischer Blick auf den Siebträger
„Für einen Physiker ist das Kaffeebrühen ein reaktiver Fluss durch ein komplexes poröses Medium, das sich dynamisch neu konfiguriert“, erklärt Maciej Lisicki (1), ein Physiker an der Universität Warschau in Polen, gegenüber dem US-Tech-Magazin Ars Technica (2), „Es ist ein faszinierend komplexes Phänomen.“
Ein befreundeter Barista machte den Wissenschaftler auf das Channeling-Problem und seine negativen Auswirkungen für den Espresso-Geschmack aufmerksam. Das Thema weckte die Neugier des Physikers, denn auch die Bildung der kleinen Kanäle ist eine Folge physischer Prozesse. Außerdem, so Lisicki weiter, fanden er und sein Team es motivierend die vielen Mythen unter die Lupe zu nehmen, die sich in der Kaffeeszene rund um das Channeling-Phänomen verbreitet haben.
Experimente belegen Auswirkungen von Channeling
In ihren Experimenten verglichen die Wissenschaftler Espresso, der ohne Kanalbildung gebrüht wurde, mit solchen, bei denen künstlich Kanäle erzeugt wurden. Sie stellten fest, dass Kaffee, bei dem Channeling auftrat, tatsächlich eine geringere Extraktionsausbeute aufwies. Das bedeutet, dass ein geringerer Anteil des Kaffees sich im fertigen Getränk gelöst hatte, was die Qualität mindert. Diese weitverbreitete Annahme wurde also bestätigt.
Interessanterweise das Channeling jedoch nicht die Geschwindigkeit, mit der das Wasser durch den Kaffeepuck floss, zu beeinflussen. „Das liegt hauptsächlich an der strukturellen Umlagerung des Kaffeepulvers unter Druck“, erklärte Lisicki. Der hohe Druck in der Espressomaschine führt dazu, dass sich das Kaffeemehl verdichtet und aufquillt, was den Fluss trotz der Kanäle begrenzt. Nicht geklärt ist, warum keine Kanalbildung nicht zu einem langsameren Ergebnis führt, da das Pulver hier ja ebenfalls aufquillt. Meiner Einschätzung nach könnten die entstehenden Kanäle zwar der bevorzugte, leichtere Weg des Wassers sein, jedoch so fein, dass sie die Fließgeschwindigkeit kaum beeinflussen.
Um Channeling zu vermeiden, kann das polnische Team jedoch nur die bereits üblichen Ratschläge geben. So sollte der Kaffee weder zu fein noch zu grob gemahlen sein, und die Verteilung des Kaffeepulvers im Siebträger muss gleichmäßig sein. Zudem ist es entscheidend, das Kaffeemehl mit einem Tamper gleichmäßig und mit dem richtigen Druck zu verdichten.
Verbindung zu vorherigen Forschungen
Die aktuelle Forschung baut auch auf früheren Arbeiten auf, wie im Ars Technica-Beitrag weiterzulesen ist. So entwickelte beispielsweise das Labor von Christopher Hendon an der University of Oregon in den USA im Jahr 2020 ein mathematisches Modell, um die perfekte Tasse Espresso reproduzierbar zu brühen und gleichzeitig Abfall zu minimieren. (3) Hendons Team konzentrierte sich dabei auf die Extraktionsausbeute und stellte fest, dass die Verwendung von weniger Kaffeebohnen mit einem gröberen Mahlgrad und etwas weniger Wasser die reproduzierbarsten Ergebnisse lieferte. Drei Jahre später zeigte Hendons Team, dass ein einziger Spritzer Wasser vor dem Mahlen die statische Aufladung des Kaffeemehls deutlich reduzieren kann, was zu weniger Verklumpungen und einem gleichmäßigeren Fluss während des Brühens führt. Diese Technik wird inzwischen von immer mehr Baristi angewandt.
Ein Beitrag für die Kaffeeszene
Die Erkenntnisse der Warschauer Physiker könnten der Kaffeeindustrie helfen, ein tieferes Verständnis für die komplexen Prozesse in der Espressomaschine zu entwickeln. Erklärtes Ziel des polnischen Wissenschaftlerteams ist es dabei, Baristi mit Daten und Fakten zu versorgen, so dass diese weniger auf ihre Intuition angewiesen sind. Die wissenschaftliche Untersuchung des Kaffeebrühens trägt dazu bei, die oft intuitiven Praktiken in der Kaffeezubereitung besser zu verstehen und zu optimieren, um letztendlich eine konsistent höhere Qualität des Endprodukts zu gewährleisten.
Quellen:
(1) https://www.fuw.edu.pl/~mklis/
(2) https://arstechnica.com/science/2025/03/the-physics-of-brewing-the-perfect-espresso/
(3) https://www.smithsonianmag.com/science-nature/science-behind-brewing-great-cup-coffee-180965049/
